Freitag, 7. Januar 2011

chez Grandet

"So endet die Geschichte dieser Frau, die mitten in der Welt nichts wußte von der Welt; die - wie nur je eine Frau - geschaffen war zur Gattin und zur Mutter und doch weder Mann noch Kinder hatte."

Und so endet sie eben auch nicht. Madame ist 32 Jahre alt und hat einen Geldschatz zur Verfügung, der im Frankreich des frühen 19. Jahrhunderts einem Wert von einigen Milliarden in heutiger Hand entsprochen haben dürfte. Was tut sie im Alter von 32 Jahren mit einigen Milliarden? Sie vergütet die gute Nanon, de Grassin und den Cornoiller, stiftet für gute Zwecke. Und dann? Sie verwaltet, investiert, handelt, spart. Und spart sich, wie es sie der Vater gelehrt, die Heizung, bis zum ersten Frost im November.

Ein durch blutrünstigen Geiz zusammengerafftes Erbe antreten heißt diesen Geiz übernehmen, der aus jeder Testamentszeile spricht, der von jedem Goldstück tropft. Dieses Erbe verpflichtet, und was der Vater seinen nächsten vom Maul abgespart, spart sich nun die reiche Erbin: die (wie sollte es anders sein) Liebe.

Ihr Vater ließ sie hungern und frieren, während er nachts seine Goldtaler zählte; Nun friert sie und wird nicht satt. Ihr Vater hieß sie seine Röcke flicken, und bis zu ihrem 23. Lebensjahr kannte sie von der Welt nur den trostlosen Blick auf jene Straße, wo alle Stunde gerade ein Mensch vorüberging; Heute verwelkt sie auf ihrem Besitz. Ihr Vater versagte ihr die Liebe ("Sehen Sie, ich würde meine Tochter lieber in die Loire werfen als sie ihrem Cousin geben."), und nach seinem Tod erträgt ihr eingeschnürtes Herz den Fluch des Erdenlebens allein.

Wie kommt sie da wieder raus, wie wird aus Mme Grandet wieder eine fühlende Eugénie?

Wenn M. Grandet - und es gibt viele Landedelleute, die es nicht anders machen - nur seinen schlechten Wein trank und seine faulen Früchte aß, so kocht mein Vater sich Wassersuppe aus teils selbstgezogenem Wurzelgemüse und nennt das mit leuchtenden Augen ein Festessen, das er mit Gurkenwasser würzt, hoch lebe die Nachkriegszeit.

Eines Tages werde ich ein paar hunderttausend erben, die mein Vater mit unserem Unglück erkauft hat. Die er hegt und hortet und niemals rausrückt, mich jahrelang unter der Armutsgrenze leben ließ, im innersten zufrieden, dass da keine Ansprüche kamen, denn er hatte mir die Ansprüche nie beigebracht, mir meine Wünsche aus dem Kopf geschlagen. Wie werde ich mich fühlen, wenn er, vom Tod dazu gezwungen, dieses Blutgeld zurückzahlt?

Noch heute wird mir kalt und ich muss zittern bei dem Gedanken daran, wie ich meine Unterschrift für irgeneine Kapitalanlage meines Vaters hergeben musste. Ich habe meinen Namen in den Dienst seiner Gier gestellt, er missbraucht ihn wahrscheinlich noch immer, und er hätte mir vielleicht sogar ein paar Sous geschenkt, wäre ich ihm dafür nur ein einziges Mal mit Dankbarkeit begegnet.

Wie komme ich da wieder raus, wie wird aus mir wieder ein fühlender Mensch?

Die rote Kraft würde sagen: Sie müssen den Schmerz annehmen, ohne den gibt es keine innere Stärke. Sie werden diese Erniedrigungen und Verletzungen nicht ungeschehen machen, das können Sie vergessen. Und so komme ich da wieder raus: Ich kaufe mir, was ich mir wünsche, entgegen aller Schuldgefühle, ich verdiene mein eigenes Geld und schlage mindestens das geistiges Erbe meines Vaters aus. Damit meine Geschichte nicht so endet wie Eugénie's, die sich mit 32 Jahren die Welt leisten konnte, aber nichts besaß, für das sie in ihr lebte.

Zufallsbild

carrie

User Status

Du bist nicht angemeldet.

stats


bild
freunde
fusion
hit the road
liebes tagebuch
life
politik
schoenes
sex
tiefes
ton
untiefes
wort
zynisches
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren