ach gott

(dieser artikel wird etwas laenger, also nimm dir zeit dafuer.)


es gibt herrliche kirchenwitze, wie z.b.

- ich war heute mal in der kirche.
- und wie wars?
- spitze, zum schluss haben sie noch das geld rumgereicht. ich habe mir auch einen zehner genommen.

oder

- icke neulich inna kirche wa. seh ick een roochen.
- sach an. und?
- faellt mia dô glatt dit bia aus da hand.

der groeßte witz heißt alexander garth. er ist pfarrer der gemeinde, in der ich nun 5 sonntagsgottesdienste erlebt habe, aber zu seiner person spaeter mehr.

freundlicherweise beginnt sein gottesdienst um 18 uhr, das ist eine gesegnete zeit: die woche ist zuende, man hat den feiertag mal wieder nicht geheiligt, aber zumindest rumgebracht und fuehlt sich einfach leer. selbst partnerschaften haben sich nun ueber schlechtes hollywood hinaus nichts zu sagen, nehme ich an.

da findet sich dann eine quirlige menge junger jesusjuenger zusammen, um einen gottesdienst zu feiern. der ging gestern schonmal so los. jetzt kann man geteilter meinung sein ueber christrock, ich finde die texte auch so ne sache, aber die schlagzeugstimme zur einstimmung fetzt schon mal.

da versammeln sich dann also etwa 100 (sonntag abend in berlin!) leute so langsam in einer dachetage, die mit bar und lounge eher an ein hostel erinnert. gottesdienst mit tontechnik und VJ und band.

hab ich mir natuerlich auch gleich gedacht, ja, da wird dann das mikro rumgereicht, und jeder erzaehlt, wie gott ihn und nur ihn oder sie errettet oder mit wundern versehen hat. auf den ersten blick wars auch so. auf den zweiten aber ganz anders.

erstmal erinnert dort an einen gottesdienst nur noch der segen und das vaterunser. und die predigt, na dazu wollte ich spaeter kommen.

dann geht das alles so fließend, jeder packt irgendwas an und der gottesdienst wird vielmehr aus den leuten heraus gestaltet, als praesentiert. keine glocken, keine orgel, keine knistrigen omastimmchen. stattdessen abwechselnde moderatorenteams, die band mit staendig wechselnder besetzung, liedtexte vom beamer und gebete aus dem stehgreif. und hinterher an die bar.

intuitiv wehre ich mich immer gegen das beten. ich finde auch dieses heillose gerede von gott und jesus und den queraelen seiner zeit reichlich ueberbewertet. ich stell mir immer jesus wie chequevara ohne waffen vor, ein idealistischer revoluzzer mit einem untrueglichen gespuer fuer die menschen und einer gehoerigen portion nachsicht dazu. ich finde, man sollte die kirche im dorf lassen, wenn man solche geschichten erzaehlt.

und gott, na da muss ich wohl passen. meine arbeitshypothese ist, gott sei zur zeit die gesamtheit dessen, was die menschen und ihre gedanken verbindet. also auch mit sich selbst oder mit ihrem kuscheltier oder ihrem neuen benz. ich denke, dass gott eher ein dynamischer begriff fuer dinge ist, die man nicht versteht.

waere zu klaeren, ob gott weg, wenn mensch weg. ist nur nicht so einfach, wenn mensch weg. kann mensch nicht rausfinden, ob gott weg, wenn selbst weg. pech gehabt.

da zanken sich dann die kleriker jahrhundertelang, ob man dieses und jenes wissenschaftlich widerlegte nun abzwacken duerfe von ihrem runden gottesbild. ich glaube dementsprechend, gott ist so eine art virtuelle nullfolge, ein pragmatisches konstrukt, das thematisch schrumpft und in den verbleibenden fragen eine immer filigranere veraestelung offenbart. das ist eine sehr christliche denkweise, denn so eine nullfolge ist immerhin unendlich.

seit laengerem beschleicht mich aber auch die gewissheit, dass sich gott (dieses abstrakte menschenverbindungskonzept) dem versuch entzieht, sich fassen zu lassen. das heißt, je genauer man ihn und das leben in seinem namen hindefiniert, desto mehr schafft man eine momentaufnahme dieses lebens, die zeitlich starr ist und damit ihre dynamik einbueßt. wo zwar viel gott draufsteht, aber nur noch wenig drin ist.

mal angenommen, das wuerde grob so stimmen: wie zur hoelle koennte man dann seine auffassung von gott und der welt jemandem mitteilen, ohne das, was man mitteilen will, damit in dem maß aus der mitteilung zu loeschen, wie man sie praezisiert? also konkret, wenn ich hier großspurig von meinem gottesgespinst schreibe, wie kriege ich es hin, dass du leser das empfaengst, was christen wohl heiligen geist nennen, und nicht eine abfolge von gut gemeinten graphemeinheiten, oder alles in den falschen hals?

gute frage.

an dem punkt bewundere ich immer jenen philosophenhaufen, der ueber ein paar jahrtausende hinweg das zusammengeschmiert hat, was wir als bibel kennen. ich frage mich dann auch, ob das mit dem hoehlenfund der papyrosrollen etc nicht ein aufs feinste eingefaedeltes meisterstueck eines begnadeten menschenkenners darstellt, der die bibel mal eben nach dem fruehstueck geschrieben hat und ihre entstehung dann so verpackte, dass die leute sie nicht nach dem zweiten lesen als klopapier verwenden.

denn eins ist sicher: entgegen aller hartnaeckigsten zuwiderhandlungen und ausmerzversuche bestimmt die biblische moral selbst noch das denken der groeßten arschloecher unserer zeit. und da kann man die schwarte schuetteln, verbieten, verbrennen oder solange neu interpretieren, bis vor der hand das gegenteil drinsteht: was die apostel da zwischen die zeilen geklemmt haben, bleibt sich auf wundersame, wenn man will, goettliche weise, treu. nicht linientreu, aber im mittel. und die bibelzeilen selbst bilden so einen kaefig, der den gott dann zwar notwendigerweise in bestimmte grenzen zwingt, ihn aber darin nicht festlegt, also bibelintern seine dynamik erhaelt. so eine sinnvolle alltagstaugliche abschaetzung der groeße (oder dimension) gottes.

ich finde das eine gewaltige leistung, den gottesgedanken so zu fassen. und die gaengige bibeluebersetzung stinkend langweilig zu lesen. ich staune immer, wenn leute sagen, wie sie neulich das und das gelesen haben wollen und wie ergriffen sie gewesen seien, und dann schlage ich es nach und denke: und nu? selbst bei den ganz spannenden stellen, hiob oder kreuzigung, es sagt mir nicht mehr als die letzte erbschaftsteuerreform. in der ich auch nicht lese.

die bibel ist vielleicht kein buch zum lesen, sondern zum erzaehlen. die geschichten wollen da raus. wirbel machen. leute zu gott bringen. verkuendet das wort. so jedenfalls hoeren es die klerikalen gern. tatsaechlich klingen eindrucksvoll rezitierte stellen doch noch sehr lange im ohr.

na ja. ich bin so ein missionsmuffel. ich denke mir, dass ja, wenn mein gott ein zwischenmenschliches verbindungskonzept ist, eh schon jeder mit drinsteckt, ob er das nun so sieht oder nicht. den grundsaetzen der thermodynamik gehorcht ja schließlich auch jeder, kann er sich auf den kopf stellen und mit den beinen wackeln, satter wird er davon nicht. das muss ich ihm nicht predigen.

satt werden. von gott. christen koennen das. genau da packt mich naemlich der zweifel, dass ich mit meinem irgendwie mal zu beweisenden gotteszusammenhang was anfangen koennte, wenn ich ihn denn schwarz auf weiß praesentierte. ich hab das thema neulich mal aufgeschrieben und in den vorherigen beitrag gepackt. zusammenfassend glaube ich mittlerweile, dass ein definiertes bild von gott den verstaendnishunger eines menschen nicht stillt. wie gesagt, so gut wie man es auch meint, der geist verfluechtigt sich daraus und laesst nur die worthuelse uebrig, in die dann ein paar vagabundierende gedanken einziehen und sie zwecksentfremden, wenn man das gebaeude nicht ordentlich sichert.

ob gott einen zweck hat? den christen nach hat er immerhin was vor mit jedem von uns, der liebe wegen. alles aus liebe.

was mit denen sei, die keine liebe mehr spueren. grenzfaelle von psychopathologie, die sich die gottgeschichtenschreiber nicht hatten traeumen lassen. oder gerade doch?

ich weiß darueber nicht viel. nur, dass mein wochenende scheiße war. verdammt scheiße. und als ich abends in der gemeinde war, hab ich ein bisschen geweint. nur fuer mich. das faellt nicht so auf, der raum ist dunkel dort. es war auch nicht aus trauer, mehr aus innerer einsamkeit vielleicht. so ein befreiendes weinen. ich glaube, orte an denen man weinen kann, sind gute orte. man sagt ja auch, dass gott etwas mit gemeinschaft zu tun hat.

nein, ich bin ueberhaupt nicht der meinung, dass irgendwer zu gott kommen sollte, der darauf keine lust hat. so ein gepflegter atheismus ist mir weißgott sympathischer als dieses seelenheil versprengende missionsheldentum. und die formulierung „zu gott kommen“ kommt mir zu den ohren heraus. wer das beduerfnis in sich verspuert, seine spiritualitaet in ein bewussteres licht zu traenken, der mag unvoreingenommen die verschiedenen angebote gegeneinander abwaegen und sich sein seelenmuesli selber mixen. wenn er den mund dazu nicht aufkriegt, bleibt ihm der naehrwert dennoch verborgen.

so denkt man als moechtegerner aufgeklaerter mensch. das in dieser auffassung verborgenene konfliktpotential moechte man aber gern gesondert betrachten.

in punkto ueberzeugungskraft faellt mir so ein chinesisches sprichwort ein (die sorte, wo immer zitiert wird, wenn so ein selbsternannter wahrheitsfinder sich auf was ganz felsenfestes berufen will):

wer etwas weiß, verliert wenig worte; wer von nichts weiß, der redet viel.

das kommt fast ein bisschen selbstironisch an dieser stelle.

viel reden tut auch der alex. er verleiht damit seiner begeisterungsfaehigkeit ausdruck und pantscht alle moeglichen platitueden, halbwahrheiten, binsen und besenweisheiten und billigen witze in eine zwanzigminuetige darbietung, in der er den weltweit verordneten predigttext mit seinem sanften machoismus vereinbart, darauf hindeutend, dass er jederzeit zu mehr maennlichkeit faehig waere.

er provoziert. er weiß wie man provoziert. er luegt. er weiß, wie man luegt. er denunziert anwesende menschen. er ist zynisch und laeuft am anschlag seiner stresstoleranz. er genießt seinen erfolg und teilt ihn nur mit gott. und seine frau ist 20 jahre juenger als er. ich haette ihn bloßstellen und demuetigen wollen nach der ersten predigt, die ich hoerte. mittlerweile mag ich ihn sehr, denn am ende sagt er einiges mehr, als die gesamtheit seiner phrasen vermuten laesst.

sein erfolg liegt nicht in einem mittelmaeßigen bestseller und ein paar christlich-progressiven entwicklungskonferenzen im jahr. sein erfolg liegt darin, dass er eine gemeinde aufziehen kann, in der jeden sonnstag abend hundert leute ein ehrlich gutes gefuehl dabei haben, zusammenzusein. in der die leute mitarbeiten, weil sie sich als gleichberechtigter teil sehen. und die sich zu 50 prozent aus vorher konfessionslosen speist, das ist in berlin - ein großer erfolg.

nun, gestern ging es um das ewige leben, sie haben die predigtreihe gerade unter das motto „gibt’s doch gar nicht“ gestellt und hinterfragen darin so spukbilder wie den teufel oder die wunderheilungen christi, die ergebnisse klingen, wie zu erwarten, immer in die richtung, ja wer ist auch so bloed und glaubt diese verselbstaendigten maerchen, hier geht es um das bild und die botschaft fuer unsere leben.

in diesem zusammenhang, mein lieblingsgebot:

du sollst dir kein bildnis von mir machen.

mit 14 oder so entdeckte ich, dass so ziemlich 90 prozent der mir bekannten christen dagegen verstießen. neben ihren ueblichen verstoeßen. gleichzeitig nahm ich diese erkenntnis zum willkommenen anlass, meine mitchristen endlich begruendet zu verachten und erwehrte mich erfolglos der ahnung, dass da noch so ein eckchen an gott ist, welches der geist mueder christenlehrer nicht beleuchten konnte.

bei naeherer betrachtung oeffnete mir dieses gebot eine voellig neue sichtweise auf jene opas, die da in den hoehlen das pergament bekrakelt hatten: hatten sie am ende die voraussicht besessen, ihre schriebse vor den scharrenden schnaebeln der hier und jetzt gebliebenen zu bewahren? macht doch nichts einen dietrich so nachhaltig unbrauchbar, wie ihn einmal zu gravieren. vielleicht ist die bibel so ein gravurschutz um das, was wir immerzu gott nennen wollen?

vielleicht lernt ein glaeubiger, seinen graviertrieb in den griff zu kriegen, indem er einfach mal was glaubt, das nicht auf seinem mist gewachsen ist, das er nicht pruefen kann und von dem er nicht vorher weiß, was es bringt? und schafft damit so eine augenblicksromantik, die den augenblick in frieden laesst mit den sorgen der welt?

gestern jedenfalls ging es um die fluse ewiges leben. eine verhaeltnismaeßig unspektakulaere predigt, aber davor gab es diesen videoschnipsel:



ich habe echt geweint, aber nur mit dem linken auge. es war schoen.



p.s. allen, die bis hierhin durchgehalten haben, meinen dank. ich habe noch nie so einen langen beitrag veroeffentlicht, geschweige denn gelesen.
sallypoppins - 17. Nov, 19:53

Ich finde ja Glaube ist so ein bisschen wie Geschmack: Man sollte einfach nicht drüber streiten. Der eine hat ihn der andere nicht. Der eine wird ohne ihn glücklich, der andere mit - oder auch nicht. Tut einfach nichts zur Sache. Man sollte halt nur nicht den Fehler machen, sich die Köpfe deswegen einzuschlagen. Lohnt nicht.

Aber mal ganz im Ernst, der Clip... dieser Vergleich hinkt einfach an sovielen Stellen, dass er schon zusammenbricht bevor er die Zielgeraden überhaupt jemals zu Gesicht bekommt. - Vielleicht allerdings bin ich auch nur mit spiritueller Blindheit geschlagen in meiner überaus skeptischen Ungläubigkeit...

zuckerwattewolkenmond - 17. Nov, 20:21

Puh,

das war aber tatsächlich mal ein langer Beitrag. ;o) Ich selbst gehöre zu den gläubigen Menschen, halte aber generell nicht viel von Kirchen oder Glaubengemeinschaften, da ich finde, daß man "Gott" oder wie immer man "das Wirkliche" (wie es John Hick in "Religion" nennt), zuerst in sich selbst finden muß. Orientierung im Äußeren mag zwar ein Wegweiser sein, kann aber auch, wie wir das ja von allen äußeren Reizen kennen, vom Inneren abschneiden. Nun ist aber dieses innere Erleben, genau wie du es schreibst, nicht wirklich in Worte zu fassen und trotzdem versucht es jeder (allerdings auch die, die nichts fühlen, sondern nur nachplappern). Ich glaube, daß es einfach menschlich ist, das Erlebte in Worte fassen und mitteilen zu wollen, Kommunikation ist schließlich eine der Hauptüberlebensstrategien des Menschen. Ich nehme mich da nicht aus, halte mich aber aus eben dem Grund, daß es ein Thema ist, welches nicht endgültig fassbar ist, zurück, und verarbeite sowas, so weit es geht, eher in meinen Schreibprojekten, da aber auch sehr subtil und unterschwellig. Gerade im Internet nerven mich diese vielen Missionierer mit ihrer Holzhammermethode manchmal ziemlich. Bei denen habe ich noch nie etwas vom "heiligen Geist" gespürt, was immer die darunter verstehen und womit die gerne protzen (das ist manchmal etwas eigenartig). Trotzdem gibt es, so glaube ich, tatsächlich Situationen, Worte o.a., wo so etwas überspringt, ein heiliger Funke, um es mal so zu nennen, man spürt es sofort und es muß gar nichts mit Kirche oder Gott zu tun haben. Es ist einfach etwas, was im Aufnehmenden einen inneren Zustand herstellt, ich würde behaupten einen Bewußtseinszustand, der für die Verbindung mit dem Göttlichen offen macht. Was die Bibel betrifft, so war es schon immer so, daß in diesem Buch jeder genau das finden kann, was er darin sucht, egal was es ist und egal wie unvereinbar es miteinander ist. Vielleicht macht gerade dies den ungeheuren Erfolg des Buches aus.

Phae - 18. Nov, 01:45

Ich hab durchgehalten und will auch eigentlich gar nichts weiter sagen, außer: schön.

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