untiefes

Mittwoch, 21. Mai 2008

rocking eastkross

es ist eigentlich immer in bewegung und strahlt doch die majestaetische ruhe einer industriebrache aus. fragte mich einer: "wie ist berlin?", ich würde ihn morgends und abends eine stunde in den treppenschacht bahnsteig F nach D stellen. in den strom. unter strom. heute elf uhr bahnsteig D: der fahrzeuglose schlick aus den ostbezirken mischt sich mit dem friedelhainer schlampervolk; zwei rauchende asiaten, arm und zeitung lesend, synchron; ein mann stuetzt seine arme auf die neue überführungsbrüstung, atmet tief ein und seufzt. er blickt irgendwohin nach frueher. orange gleisarbeiter stochern durchs gleisbett, schlaengelmarsch. sonne ueber dem letzten katzenkopfstein gepflasterten bahnsteig der welt, die weiß getuenchte bahnsteigkante krumm und schief im profil. der obststand wie vor jahrmillionen unter genieteten stahltraegern, dazu gewusel aus bauzaeunen, hinweistafeln, backstein und verhaltenem stress. bald uebersieht man die uhr und die zuganzeige in dem durcheinander.

den umgehauenen baeumen zum trotz bricht das gruen aus allen ecken. die marode villa glotzt zu und fragt sich, wo das alles noch hinfuehren soll. mit hunderttausenden umgeschlagenen menschenhuelsen vielleicht der lebhafteste ort der stadt. die trappeln alle durch den baufaelligen treppenschacht und umspuelen den obststand: arbeitslose, wurstbudengespräche, besserverdiener, szenehochdeutschsprecher, weggucker, süße erstsemesterinnen, ostmuttis, kettenraucher, beamte, handwerker, volltaetowierte; backpacker, orientierungslose touristen, deutsche mit migrationshintergrund und lächerlichen mackerhosen; lebenskuenstler, zigeuner, penner, obdachlosenzeitungen, immer polizei und manche emsigen szenefotographen, die noch schnell den charme in bilder bannen wollen, bevor er verfliegt; fahrkartenschnorrer, imbissbuden, tauben, dreck und mueder stahl, der in der morgensonne nochmal laechelnd die muskeln spielen laesst.

das ostkreuz genießt seinen letzten sommer. langsam fahren die bahnen ein, als verneigten sich ihre fahrer vor der wuerde dieses uralten organismus. bald wird er mit der modernissierung schritthalten. noch aber brummen und knarren die lautsprecher von den gereizten ansagen echter ansager.

auf bahnsteig F sah ich zum ersten mal, wie ein mann eine frau befriedigt, er punk, sie yuppi, waehrend fuer eine betriebsbedingte stunde gar nichts fuhr. da war ich siebzehn und spuerte zum ersten mal die millionenfach ausgetretene ruhe dieses durch ruecksichtslosigkeit geheiligten ortes. nervenkitzel zug faehrt ein. seitdem atme ich manchmal ein wenig tiefer, wenn ich mein rad über die katzenkopfsteine schiebe. ostkreuz ist mir eine metapher für berliner leben geworden: schnell, mechanisch, marode und wenn keiner hinschaut, voller liebevoller bilder, die man in dem chaos wirklich nicht vermutet haette.

abends steht die sonne tief und scheint auf den bahnsteig der ringbahn. dann ertappe ich mich bei dem gedanken, einfach stehen zu bleiben, aber der bahnhof duldet keinen stillstand. die sonne liebt dieses wurzelgeflecht aus gleisen, das, vor zeiten gepflanzt, tief eingewachsen ist in die alte stadt, ein naturschauspiel auf der grenze zwischen innenstadt und jwd. seine aeste sind morsch, man wird sie ausbetonieren. was von dem zwinkernden charme genieteten stahls, ostlaternen und kastanienbaeumen bleiben wird? und ob die neuen bahnhoefe das koennen, leben? das ostkreuz lebt. lang lebe das ostkreuz!

ostkreuz_bahnsteig_F ostkreuz_bahnsteig_A ostkreuz_bahnsteig_A_nacht



ostkreuz im winter | ostkreuz intim | ostkreuz buddelkasten | fotoalbum | wie es leibt und lebt



ostkreuz_love ostkreuz_lautsprecher ostkreuz_bruecke

Zufallsbild

tanzfestival

User Status

Du bist nicht angemeldet.

stats


bild
freunde
fusion
hit the road
liebes tagebuch
life
politik
schoenes
sex
tiefes
ton
untiefes
wort
zynisches
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren