tiefes

Sonntag, 18. Dezember 2011

der schluessel und der herd

ich habe nun endlich auch verstanden, wieso manche leute immer panisch befuerchten, sie koennten den herd angelassen haben. mit dem vermeintlich vergessenen schluessel eine super kombination, wenn man die wohnungstuer ins schloss zieht.

aeußere sicherheit und innere kraft, und das gefuehl, beide nicht kontrollieren zu koennen.

Ich bin die stumme Leidenschaft,
Im Haus ohne Herd, im Krieg ohne Schwert,
Und krank an meiner eigen Kraft.

[Hermann Hesse]

Freitag, 16. Dezember 2011

Wir haben zu reden

über Christa Wolf, mit ihr, wenn man es genau nehmen will. Sie ist hinabgestiegen in das Reich des Todes und hat ihre Bücher hiergelassen, in denen sie diesen Gang bereits zu Lebzeiten aufs schmerzvollste ausgeleuchtet hat.

Kinderknochen liegen dort unten, das hatte sie in dieser Schrecklichkeit nicht erwartet, und doch gespürt: Was im Verborgenen liegt, drängt dumpf und mahnend an unser Bewusstsein. Auch andernorts gräbt man Leichen aus, es scheint, als müssten sie erst ruhen wie ein Teig, bis man ihnen gegenüber Rechenschaft ablegt.

Wie lange muss man warten, ein Jahr, ein Jahrzehnt, bis die Täter entkommen, debil, nicht mehr straffähig sind? Bald dreitausend Jahre vergingen, bis sich eine ein Herz fasste und mit Medea hinunterstieg. Zuvor musste Christa Wolf selbst am Pranger stehen für ihren Willen, ihre Kraft und Menschenliebe, musste sich zerfleischen lassen von Wölfen, die wussten: Sie hat ein Volk auf die Freiheit eingeschworen, sie wird es aufbegehren lassen, und: Fort mit ihr!

Wie das so ist, man lässt einen verstummen, und zehn Stimmen erwachen, die bis heute geschwiegen haben. Medea. Stimmen. Liest das einer, versteht man das? Nun, Deutschland leckt sich die Wunden, und kaum einer ist bereit, hinabzusteigen in die alten Folterkeller, in denen knietief die Fäulnis steht. Sie vergiftet die Brunnen, frisst die Kinder, ein Täterstaat*. Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied, habe ich gelesen, und verstehe, warum eigentlich keiner so richtig an der Bibelübersetzung interessiert war.

Hinuntersteigen in die Wiege unseres Kulturkreises, und dort Kinderknochen finden. Schreiend, zur Furie werdend, fluchend auf den König und den fauligen Staat, aus der Stadt rasen, stolpern, ihren Untergang beschwören. Wut, Wut, Wut auf diese dummen, feigen, selbstgerechten, kleinmütigen, sich selbst überhöhenden Kreaturen. Unbändiger Zorn, und das Wahren der eigenen Würde.

Ist das nötig gewesen, Medea, Frau Wolf, hätte man sich den Ärger nicht sparen können und einen trinken gehen, unten an der Hotelbar? An der Oberfläche wartet das leichte Leben, man kann seine Tage auch tanzend am Strand verbringen, warum immer wieder hinuntersteigen? - Nun, verehrtester, sie spüren es vielleicht noch nicht, doch ich sage ihnen: Es drängt.

Schwestern, ein Schutzengelgeschwader habe sie sich in der Kassandra und Medea geschaffen, die ihr nun im Totenreich zu den Seiten stehen: Christa Wolf wird mit den Augen zwinkern und lachen, Mädels, das ist nett von euch, aber ich kann für mich selbst sprechen, und im Übrigen, geht es den Kindern gut?



* Seit heute spüre ich, dass mein Großvater väterlicherseits, Feldarzt der Wehrmacht, an Kriegsverbrechen beteiligt war, wahrscheinlich gegen französische Juden. Denn stimmte es, dass er den Krieg hindurch seine Humanität wahrte, wie die Familie beteuern will: Seine kalte Grausamkeit, sein reiner Sadismus wären nicht erklärbar, die durch meinen Vater auf mich niedergegangen sind, und an denen ich massiv psychisch erkrankt bin. Ich jedoch beginne, hinabzusteigen. Ich werde kein Täter mehr.

Sonntag, 3. April 2011

was ich so treibe

ich bin aus japan wiedergekommen, muede und gejetlagt, und die zollbeamten hatten schlechte laune, sie fragten: wo kommen sie denn her?, mit jenem unterton von: durchsuchen wir ihn oder nicht? in japan waren die customs so hoeflich wie das ganze land. ich stand im flughafen frankfurt, terminal b, und dachte: gott seid ihr alle haesslich, und: warum tu ich mir das eigentlich an?

ich schlief drei tage und naechte auf einer couch in berlin und fuhr nach soelden, wovon es jetzt schon nichts weiter zu berichten gibt außer dass ich ein paar unsaubere 360ies rumgezogen habe auf skiern. die berge haben mich beeindruckt dort, sogar nach 40 skitagen in japan.

gestern wieder berlin.

heute dresden.

ich habe mein mobiltelefon verloren.

und ich heule. ich hatte mich so lange auf jenen sonnentag gefreut, an dem ich zum ersten mal an die elbwiesen gehen wuerde. und nun saß ich da, zwischen sonntagsspazierern, pubertierenden und studenten und heulte.

der schmerz wird schaerfer, die konturen deutlicher. er kostet mich mehr und mehr kraft. ich beginne zu verstehen, dass meine eltern mich nicht wollten. dass meine mutter mich schlug, wenn ich nach ihr schrie, sich abwendete, rauchte. dass ich jedesmal gegen die angst, geschlagen zu werden, kämpfe, wenn ich mich einer frau nähere. dass es jedesmal diese wunde wieder aufreißt und ich heulend vor ihr stehe, wenn sie mir etwas bedeutet. das tut so unbeschreiblich weh.

warum musste ich zu solchen eltern kommen, und wo waere ich heute, haetten sie mich geliebt? ich wuerde ein erfuelltes leben fuehren, ohne meine ewig unbefriedigten sehnsuechte. ich wuerde von den dingen schreiben, die ich tue, nicht die ich denke.

shushi sitzt auf meiner brust, das macht es ein wenig leichter. von ihm wird noch zu schreiben sein, wie auch von suzi und den drei mihos, in einem spaeteren beitrag.

hier in dresden haben sie mich im gaestehaus eines max planck instituts untergebracht, seit langem habe ich mal wieder einen raum fuer mich. der sich sofort mit dem schmerz fuellt. mit den traenen kommt die kraft, die ich mit ihnen zurueckgehalten habe. bis heute. bis es nicht mehr ging.

daran werde ich arbeiten in den naechsten monaten, diese mutter zu ueberwinden. dieses schwein.

Sonntag, 19. Dezember 2010

du darfst

ich habe das immer fuer verzweifelte erfolgsmeldungen von menschen gehalten, die sich an sich selbst hindern (zu denen ich gehöre): zu sagen, dass sie spüren, wie sich etwas bewegen wird in der nächsten zeit, sie wüssten das ganz bestimmt. fragte ich sie in der nächsten zeit, also ein zwei jahre später, was sich denn getan habe, war es nicht weit her mit den umgesetzten vorsätzen, aber es fühlte sich trotzdem gut an, die nachfrage gefiel ihnen nur nicht.

dagegen sagen die zen leute, was im geist vorhanden ist, findet auch bald seinen weg in die materielle welt.

ich habe heute morgen gespürt, dass ich bald wieder eine freundin haben werde. das übermächtige DAS DARFST DU NICHT also verschwindet (zuletzt und noch immer anteilig verkörpert von der hässlichen exfreundin und ihrem kontrollzwang).

ich denke, mein gefühl wird gewinnen. so wie es wieder funktioniert, das hier hinzuschreiben.

Samstag, 26. Dezember 2009

freude!

heute kam mein geschenk mit der post, in graues packpapier gewickelt. es heißt aussoehnung mit dem inneren kind und wurde von chopich/paul geschrieben. die restlichen geschenke waren eigentlich nur beiwerk.

Montag, 14. Dezember 2009

vater hier, mutter dort

ich hab mich das schon eine weile nicht getraut zu schreiben, aus verschiedenen gruenden: zum einen und immer noch wichtigsten will ich mein nest nicht beschmutzen. zum zweiten ist das sehr persoenlich und darum schwer, wirklich ernsthaft und in einer form auszudruecken, die ich im netz vertreten kann.

say, jeder denkt ueber seine eltern nach. und findet dabei vermutlich tausend schlimme dinge, die ersie so nie selbst, jedenfalls anders, und wenn es geht besser machen wird. ich erinnere eine zeit, als ich so 16,17 war, da beoabachtete ich meine eltern, um von ihnen das miteinander zu lernen. das hatte ich natuerlich vorher schon 16,17 jahre getan, aber neu war mein bewusstsein dafuer, und vor allem fuer das, was ich da lernen wollte: wie man liebt.

ja, ich hasste mich dafuer, bei ihnen schauen zu muessen, und zwang mich, es nicht zu tun: keine identitaet an dieser stelle war besser als die eindruecke von nichtachtung und gewalt. nur wogegen man sich am staerksten wehrt, verinnerlicht man gerade deshalb am tiefsten: durch die angst.

ich habe der gewalt ja nicht als unbeteiligter zugesehen: oft genug richtete sie sich gegen mich. damit stand ich direkt in ihrem bann und lernte nicht nur das was ich sah, sondern fuehlte es gleichzeitig mit.

ich hatte schon frueher begonnen, mich davor zu verschließen. mit sieben brachte ich mir das tagtraeumen bei. in oben beschriebenen alter hatte ich meine gesamte gefuehlswelt in die traumebene verfrachtet und lief als tote huelse umher, aus der niemand mehr schlau wurde, let alone ich selbst.

nun weiß ich, dass ich meinen koerper an dieser stelle aufgegeben hatte. ich ließ zu, was immer man mir anzutun gedachte und trug die schmerzen in meine traeume. man war hauptsaechlich mein vater, der auf gefuehlsaueßerung von mir lauerte, um sie anzugreifen, der jedes zeichen eines willens, eines wachsenden selbst zerstoerte und mir seinen willen aufpflanzte.

mit achtzehn hatte ich erste koerperliche symptome wie gelenkschmerzen, nervoeses zucken. ich fuehlte mich tot unter den lebenden und aueßerte nichts, wollte nichts, lebte in einem zustand voelliger apathie und wurde darin belohnt: mein vater ließ mich in ruhe.

was tat meine mutter all die zeit? wenn sie nicht gerade in die arbeit floh oder ihre angst in zwaengen erstickte, wenn sie nicht gerade fuer außenstehende die heile welt herbeiredete (ein gebot im uebrigen, auf dessen missachtung die hoechststrafe stand: niemand hatte etwas aus der familie zu erfahren!), wenn meine mutter also mit ihren geistigen kraeften verfuegbar war, hielt sie den haushalt zusammen und bezog aus ihrer existenziellen rolle ein wenig selbstbewusstsein.

ihre liebe zu mir fand nur umwege, und ich lehnte sie ab. zum einen wollte ich sie schuetzen vor den angriffen meines vaters: wenn er mitbekam, wie meine mutter sich um mich kuemmerte, bestrafte er sie. zum anderen wollte ich, dass sie die kaelte nachempfindet, zu der mein vater mich zwang. auf diese weise nahm er mich ihr weg und sie mir, denn niemand darf etwas besitzen, dass er nicht hat: meine eltern lieben sich nicht.

ich fuehlte mich schuldig daran. und wer die schuld hat, muss sie tilgen. fortan ging meine wiederkehrende kraft dafuer drauf, anderen (ungefragt) zu helfen, sie mit rat und tat zu bedenken, wann immer sie unzufrieden wirkten. weil bei meinen eltern nichts zu machen war, lernte ich, das leid anderer zu antizipieren, zu entschluesseln, zu verstehen, entschuldigen, lindern. ich fuehlte mich verantwortlich dafuer und draengte mich auf.

meine beziehungen sind gepraegt von schuldgefuehlen. mich verliere ich darin, denn in meinem empfinden habe ich kein recht darauf, geliebt zu werden, ich muss mich aufopfern, um gleichwertig zu sein.

wegen staendiger depressionen war ich diesen herbst drei monate in einer klinik fuer psychotherapie. in dem therapeutischen milieu konnte ich spueren, wie unmittelbar eine depressive phase durch ein ereignis ausgeloest wird, in dem ich meine gefuehle hinter die angst zurueckstelle, andere damit zu belasten oder zu stoeren. ich habe gelernt, dass ich mir ueberall elternfiguren schaffe und von ihnen abhaengig werde, mich an ihnen immer wieder enttaeusche.

natuerlich wuensche ich mir von meinen eltern nach wie vor die liebe, die sie mir vorenthalten haben. damit bleibe ich in der kinderrolle und abhaengig von ihrer willkuer.

es faellt mir schwer zu verstehen, dass ich allein bin, dass ich nie von ihnen geliebt werden kann, und ihnen ohne diese erwartung zu begegnen. ihnen ueberhaupt zu begegnen, vorwurfslos, wie einem aelteren paerchen, das man kennt und freundlich grueßt.

und zu glauben, dass nicht alle so sind wie sie.

Sonntag, 10. Mai 2009

morgenstimmung

morgens von einer party wiederkommen, und es regnet. ueber der stadt steht das grau und die bahn laesst sich zeit, laesst den pumps und absaetzen viel zeit, ueber die bahnsteigkacheln zu tippeln, mir um zu merken, wie ich aelter werde und um mich zu fragen, wie lange das noch so weitergeht, naechte durchhaengen irgendwie auf der suche nach dem spaß oder lebensinhalt oder der frau fuers leben.

jetzt, vor der lichtmaschine, hat es aufgehoert. die morgenvoegel zwitschern und die kirschbaumblaetter haengen herab wie die flochten schlafender voegel. ob du die frau fuers leben waerst, habe ich mich gefragt auf dem weg, und ob ich angst davor habe, verantwortung fuer dich zu uebernehmen, fuer uns und alles, was da kommen mag.

ich bin unfertig, da hast du ganz recht. doch immerhin bringe ich es nach einem vierteljahr fertig, hier ueber dich zu schreiben. was uns verbindet ist keine spielerei, kein zeitvertreib, das geht bis hinunter an die wurzeln des uns eingehauchten lebens, und wir ziehen und zerren, ob wir es nicht in etwas lockerere erdschichten heraufgeholt bekommen.

draußen meliert der sonntag die wolkendecke mit hellblau und in meinem kopf fehlt soviel wasser, dass alle sprachlich-logischen gedanken, jenes geistige i-tuepfelchen, dessen mensch sich ein hoeheres wesen ruehmt, schweigen. ich haenge wertfrei in der morgenmelancholie eines unerfuellten tages, dessen ende ich in den naechsten morgen verschleppt habe, und fuehle was zu fuehlen ist, ohne darueber nachzudenken. nichts schlimmes, eher sanft streicht die einsamkeit durch mein großes zimmer und ist, bei einem unergruendlichen blick aus dem fenster besehen, freundlich mit mir.

du fehlst, das ist nicht neu, und laege hier eine einnachtaffaere auf der matratze, das schlimmste immerhin, das deiner meinung nach zwischen uns geraten kann, du fehltest immer noch, oder gerade dann umso mehr.

wenn ich zaubern koennte, dann waere es wieder nacht und ich koennte schlafen, traumlos, bis der morgen mich aus den federn kitzelte. dann schwiegen die sehnsuechte und ich wuerde in den neuen tag fallen wie ich in deine arme fiel, wenn sie mir offenstanden. ich wuerde nicht einmal daran denken, dass du bald gehen muesstest, und wie lange ich dich fuer heute bei mir behalten koennte bis ich merkte, dass du mir fehlst.

Donnerstag, 9. April 2009

gevatter von und zu

ich habe gerade getraeumt wie mein vater stirbt. das passiert mir entschieden zu haeufig, wie mir todesahnungen usw eine entschieden viel zu große flaeche in meiner gedankenlandschaft einnehmen. tod beendet das leben, aber der hat da nicht staendig mittenzwischendrin hineinzupfuschen.

Donnerstag, 4. Dezember 2008

herr keuner und die gewalt

einmal klopfte die gewalt an herr keuners tuer. sie befahl, eingelassen zu werden und drohte: "wirst du mir dienen?" herr keuner erschauderte, fasste sich jedoch, bezog das bett und deckte den tisch. sieben lange jahre las er der gewalt jeden wunsch von den lippen ab, so dass sie nicth den leisesten grund zur klage hatte. seine wuensche aber stellte er hinter die der gewalt zurueck. eines tages starb die gewalt. herr keuner trug ihre ueberreste hinaus in den garten und vergrub sie unter dem kirschbaum. wie er die letzte erde auf die grube geschippt hatte und sich die schmutzigen haende rieb, entfuhr ihm ein befreiendes "nein", wonach er in das haus zurueckkehrte, ohne sich umzusehen. (nach b. brecht)

im mai habe ich getraeumt, dass mein vater stirbt. ich schaeme mich nicht zu sagen, dass es ein schoener traum war.

ich habe gerade gelesen, dass frau muehe kuerzlich beide eltern verloren hat (ihr vater war der oscar stasi fuzzi in das leben der anderen). ich frage mich gerade, ob sie nun trauert oder nicht viel freier ihrer arbeit nachgehen kann.

man soll niemandem den tod wuenschen. wie man sowieso niemandem wuenschen soll, was man sich selbst nicht wuenscht. es gibt da wohl so erahnbare mechanismen, die das, was man an dem verhassten ausmerzen will, durch den hass in sich selbst installiert.

gewalt, zum beispiel.

dennoch gehoere ich selten zu jenen auserwaehlten, die ueber ihren schatten springen koennen. ich muss weiterueben.

Montag, 17. November 2008

ach gott

(dieser artikel wird etwas laenger, also nimm dir zeit dafuer.)


es gibt herrliche kirchenwitze, wie z.b.

- ich war heute mal in der kirche.
- und wie wars?
- spitze, zum schluss haben sie noch das geld rumgereicht. ich habe mir auch einen zehner genommen.

oder

- icke neulich inna kirche wa. seh ick een roochen.
- sach an. und?
- faellt mia dô glatt dit bia aus da hand.

der groeßte witz heißt alexander garth. er ist pfarrer der gemeinde, in der ich nun 5 sonntagsgottesdienste erlebt habe, aber zu seiner person spaeter mehr.

freundlicherweise beginnt sein gottesdienst um 18 uhr, das ist eine gesegnete zeit: die woche ist zuende, man hat den feiertag mal wieder nicht geheiligt, aber zumindest rumgebracht und fuehlt sich einfach leer. selbst partnerschaften haben sich nun ueber schlechtes hollywood hinaus nichts zu sagen, nehme ich an.

da findet sich dann eine quirlige menge junger jesusjuenger zusammen, um einen gottesdienst zu feiern. der ging gestern schonmal so los. jetzt kann man geteilter meinung sein ueber christrock, ich finde die texte auch so ne sache, aber die schlagzeugstimme zur einstimmung fetzt schon mal.

da versammeln sich dann also etwa 100 (sonntag abend in berlin!) leute so langsam in einer dachetage, die mit bar und lounge eher an ein hostel erinnert. gottesdienst mit tontechnik und VJ und band.

hab ich mir natuerlich auch gleich gedacht, ja, da wird dann das mikro rumgereicht, und jeder erzaehlt, wie gott ihn und nur ihn oder sie errettet oder mit wundern versehen hat. auf den ersten blick wars auch so. auf den zweiten aber ganz anders.

erstmal erinnert dort an einen gottesdienst nur noch der segen und das vaterunser. und die predigt, na dazu wollte ich spaeter kommen.

dann geht das alles so fließend, jeder packt irgendwas an und der gottesdienst wird vielmehr aus den leuten heraus gestaltet, als praesentiert. keine glocken, keine orgel, keine knistrigen omastimmchen. stattdessen abwechselnde moderatorenteams, die band mit staendig wechselnder besetzung, liedtexte vom beamer und gebete aus dem stehgreif. und hinterher an die bar.

intuitiv wehre ich mich immer gegen das beten. ich finde auch dieses heillose gerede von gott und jesus und den queraelen seiner zeit reichlich ueberbewertet. ich stell mir immer jesus wie chequevara ohne waffen vor, ein idealistischer revoluzzer mit einem untrueglichen gespuer fuer die menschen und einer gehoerigen portion nachsicht dazu. ich finde, man sollte die kirche im dorf lassen, wenn man solche geschichten erzaehlt.

und gott, na da muss ich wohl passen. meine arbeitshypothese ist, gott sei zur zeit die gesamtheit dessen, was die menschen und ihre gedanken verbindet. also auch mit sich selbst oder mit ihrem kuscheltier oder ihrem neuen benz. ich denke, dass gott eher ein dynamischer begriff fuer dinge ist, die man nicht versteht.

waere zu klaeren, ob gott weg, wenn mensch weg. ist nur nicht so einfach, wenn mensch weg. kann mensch nicht rausfinden, ob gott weg, wenn selbst weg. pech gehabt.

da zanken sich dann die kleriker jahrhundertelang, ob man dieses und jenes wissenschaftlich widerlegte nun abzwacken duerfe von ihrem runden gottesbild. ich glaube dementsprechend, gott ist so eine art virtuelle nullfolge, ein pragmatisches konstrukt, das thematisch schrumpft und in den verbleibenden fragen eine immer filigranere veraestelung offenbart. das ist eine sehr christliche denkweise, denn so eine nullfolge ist immerhin unendlich.

seit laengerem beschleicht mich aber auch die gewissheit, dass sich gott (dieses abstrakte menschenverbindungskonzept) dem versuch entzieht, sich fassen zu lassen. das heißt, je genauer man ihn und das leben in seinem namen hindefiniert, desto mehr schafft man eine momentaufnahme dieses lebens, die zeitlich starr ist und damit ihre dynamik einbueßt. wo zwar viel gott draufsteht, aber nur noch wenig drin ist.

mal angenommen, das wuerde grob so stimmen: wie zur hoelle koennte man dann seine auffassung von gott und der welt jemandem mitteilen, ohne das, was man mitteilen will, damit in dem maß aus der mitteilung zu loeschen, wie man sie praezisiert? also konkret, wenn ich hier großspurig von meinem gottesgespinst schreibe, wie kriege ich es hin, dass du leser das empfaengst, was christen wohl heiligen geist nennen, und nicht eine abfolge von gut gemeinten graphemeinheiten, oder alles in den falschen hals?

gute frage.

an dem punkt bewundere ich immer jenen philosophenhaufen, der ueber ein paar jahrtausende hinweg das zusammengeschmiert hat, was wir als bibel kennen. ich frage mich dann auch, ob das mit dem hoehlenfund der papyrosrollen etc nicht ein aufs feinste eingefaedeltes meisterstueck eines begnadeten menschenkenners darstellt, der die bibel mal eben nach dem fruehstueck geschrieben hat und ihre entstehung dann so verpackte, dass die leute sie nicht nach dem zweiten lesen als klopapier verwenden.

denn eins ist sicher: entgegen aller hartnaeckigsten zuwiderhandlungen und ausmerzversuche bestimmt die biblische moral selbst noch das denken der groeßten arschloecher unserer zeit. und da kann man die schwarte schuetteln, verbieten, verbrennen oder solange neu interpretieren, bis vor der hand das gegenteil drinsteht: was die apostel da zwischen die zeilen geklemmt haben, bleibt sich auf wundersame, wenn man will, goettliche weise, treu. nicht linientreu, aber im mittel. und die bibelzeilen selbst bilden so einen kaefig, der den gott dann zwar notwendigerweise in bestimmte grenzen zwingt, ihn aber darin nicht festlegt, also bibelintern seine dynamik erhaelt. so eine sinnvolle alltagstaugliche abschaetzung der groeße (oder dimension) gottes.

ich finde das eine gewaltige leistung, den gottesgedanken so zu fassen. und die gaengige bibeluebersetzung stinkend langweilig zu lesen. ich staune immer, wenn leute sagen, wie sie neulich das und das gelesen haben wollen und wie ergriffen sie gewesen seien, und dann schlage ich es nach und denke: und nu? selbst bei den ganz spannenden stellen, hiob oder kreuzigung, es sagt mir nicht mehr als die letzte erbschaftsteuerreform. in der ich auch nicht lese.

die bibel ist vielleicht kein buch zum lesen, sondern zum erzaehlen. die geschichten wollen da raus. wirbel machen. leute zu gott bringen. verkuendet das wort. so jedenfalls hoeren es die klerikalen gern. tatsaechlich klingen eindrucksvoll rezitierte stellen doch noch sehr lange im ohr.

na ja. ich bin so ein missionsmuffel. ich denke mir, dass ja, wenn mein gott ein zwischenmenschliches verbindungskonzept ist, eh schon jeder mit drinsteckt, ob er das nun so sieht oder nicht. den grundsaetzen der thermodynamik gehorcht ja schließlich auch jeder, kann er sich auf den kopf stellen und mit den beinen wackeln, satter wird er davon nicht. das muss ich ihm nicht predigen.

satt werden. von gott. christen koennen das. genau da packt mich naemlich der zweifel, dass ich mit meinem irgendwie mal zu beweisenden gotteszusammenhang was anfangen koennte, wenn ich ihn denn schwarz auf weiß praesentierte. ich hab das thema neulich mal aufgeschrieben und in den vorherigen beitrag gepackt. zusammenfassend glaube ich mittlerweile, dass ein definiertes bild von gott den verstaendnishunger eines menschen nicht stillt. wie gesagt, so gut wie man es auch meint, der geist verfluechtigt sich daraus und laesst nur die worthuelse uebrig, in die dann ein paar vagabundierende gedanken einziehen und sie zwecksentfremden, wenn man das gebaeude nicht ordentlich sichert.

ob gott einen zweck hat? den christen nach hat er immerhin was vor mit jedem von uns, der liebe wegen. alles aus liebe.

was mit denen sei, die keine liebe mehr spueren. grenzfaelle von psychopathologie, die sich die gottgeschichtenschreiber nicht hatten traeumen lassen. oder gerade doch?

ich weiß darueber nicht viel. nur, dass mein wochenende scheiße war. verdammt scheiße. und als ich abends in der gemeinde war, hab ich ein bisschen geweint. nur fuer mich. das faellt nicht so auf, der raum ist dunkel dort. es war auch nicht aus trauer, mehr aus innerer einsamkeit vielleicht. so ein befreiendes weinen. ich glaube, orte an denen man weinen kann, sind gute orte. man sagt ja auch, dass gott etwas mit gemeinschaft zu tun hat.

nein, ich bin ueberhaupt nicht der meinung, dass irgendwer zu gott kommen sollte, der darauf keine lust hat. so ein gepflegter atheismus ist mir weißgott sympathischer als dieses seelenheil versprengende missionsheldentum. und die formulierung „zu gott kommen“ kommt mir zu den ohren heraus. wer das beduerfnis in sich verspuert, seine spiritualitaet in ein bewussteres licht zu traenken, der mag unvoreingenommen die verschiedenen angebote gegeneinander abwaegen und sich sein seelenmuesli selber mixen. wenn er den mund dazu nicht aufkriegt, bleibt ihm der naehrwert dennoch verborgen.

so denkt man als moechtegerner aufgeklaerter mensch. das in dieser auffassung verborgenene konfliktpotential moechte man aber gern gesondert betrachten.

in punkto ueberzeugungskraft faellt mir so ein chinesisches sprichwort ein (die sorte, wo immer zitiert wird, wenn so ein selbsternannter wahrheitsfinder sich auf was ganz felsenfestes berufen will):

wer etwas weiß, verliert wenig worte; wer von nichts weiß, der redet viel.

das kommt fast ein bisschen selbstironisch an dieser stelle.

viel reden tut auch der alex. er verleiht damit seiner begeisterungsfaehigkeit ausdruck und pantscht alle moeglichen platitueden, halbwahrheiten, binsen und besenweisheiten und billigen witze in eine zwanzigminuetige darbietung, in der er den weltweit verordneten predigttext mit seinem sanften machoismus vereinbart, darauf hindeutend, dass er jederzeit zu mehr maennlichkeit faehig waere.

er provoziert. er weiß wie man provoziert. er luegt. er weiß, wie man luegt. er denunziert anwesende menschen. er ist zynisch und laeuft am anschlag seiner stresstoleranz. er genießt seinen erfolg und teilt ihn nur mit gott. und seine frau ist 20 jahre juenger als er. ich haette ihn bloßstellen und demuetigen wollen nach der ersten predigt, die ich hoerte. mittlerweile mag ich ihn sehr, denn am ende sagt er einiges mehr, als die gesamtheit seiner phrasen vermuten laesst.

sein erfolg liegt nicht in einem mittelmaeßigen bestseller und ein paar christlich-progressiven entwicklungskonferenzen im jahr. sein erfolg liegt darin, dass er eine gemeinde aufziehen kann, in der jeden sonnstag abend hundert leute ein ehrlich gutes gefuehl dabei haben, zusammenzusein. in der die leute mitarbeiten, weil sie sich als gleichberechtigter teil sehen. und die sich zu 50 prozent aus vorher konfessionslosen speist, das ist in berlin - ein großer erfolg.

nun, gestern ging es um das ewige leben, sie haben die predigtreihe gerade unter das motto „gibt’s doch gar nicht“ gestellt und hinterfragen darin so spukbilder wie den teufel oder die wunderheilungen christi, die ergebnisse klingen, wie zu erwarten, immer in die richtung, ja wer ist auch so bloed und glaubt diese verselbstaendigten maerchen, hier geht es um das bild und die botschaft fuer unsere leben.

in diesem zusammenhang, mein lieblingsgebot:

du sollst dir kein bildnis von mir machen.

mit 14 oder so entdeckte ich, dass so ziemlich 90 prozent der mir bekannten christen dagegen verstießen. neben ihren ueblichen verstoeßen. gleichzeitig nahm ich diese erkenntnis zum willkommenen anlass, meine mitchristen endlich begruendet zu verachten und erwehrte mich erfolglos der ahnung, dass da noch so ein eckchen an gott ist, welches der geist mueder christenlehrer nicht beleuchten konnte.

bei naeherer betrachtung oeffnete mir dieses gebot eine voellig neue sichtweise auf jene opas, die da in den hoehlen das pergament bekrakelt hatten: hatten sie am ende die voraussicht besessen, ihre schriebse vor den scharrenden schnaebeln der hier und jetzt gebliebenen zu bewahren? macht doch nichts einen dietrich so nachhaltig unbrauchbar, wie ihn einmal zu gravieren. vielleicht ist die bibel so ein gravurschutz um das, was wir immerzu gott nennen wollen?

vielleicht lernt ein glaeubiger, seinen graviertrieb in den griff zu kriegen, indem er einfach mal was glaubt, das nicht auf seinem mist gewachsen ist, das er nicht pruefen kann und von dem er nicht vorher weiß, was es bringt? und schafft damit so eine augenblicksromantik, die den augenblick in frieden laesst mit den sorgen der welt?

gestern jedenfalls ging es um die fluse ewiges leben. eine verhaeltnismaeßig unspektakulaere predigt, aber davor gab es diesen videoschnipsel:



ich habe echt geweint, aber nur mit dem linken auge. es war schoen.



p.s. allen, die bis hierhin durchgehalten haben, meinen dank. ich habe noch nie so einen langen beitrag veroeffentlicht, geschweige denn gelesen.

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